junge und alte Frau

Soll ich bleiben – oder gehen?

Jürgen Ferrary
30. Mai 2025

Ich habe mich schon oft gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich an manchen Punkten anders entschieden hätte. Ehrlich gesagt: Ich mag keine Veränderungen – auch wenn mein Lebenslauf das Gegenteil vermuten lässt.

Vor vielen Jahren war ich in einer Gemeinde für Jugendarbeit angestellt. Die Gruppe wuchs schnell, unsere Jugendgottesdienste wurden zu einem Magnet für junge Menschen aus der ganzen Region. Es war ein großer Segen – aber leider nicht für alle ein Grund zur Freude.

Nach langen, teils heftigen Diskussionen entschied die Gemeindeleitung: Wir dürften die Gottesdienste nur weiterfeiern, wenn ich dafür sorgen würde, dass die Jugendlichen zusätzlich sonntags morgens zum traditionellen Gottesdienst kommen. Diese Forderung war für mich ein klares No-Go. Und doch dauerte es eine ganze Weile, bis ich den Mut fand zu kündigen.

Was danach folgte, war wie ein neues Kapitel: Ich engagierte mich ehrenamtlich in einer Nachbargemeinde – mit kreativen, bewegenden Gottesdiensten und einem wachsenden Team. Über 60 Mitarbeitende in Bereichen wie Technik, Theater, Tanz und Deko kamen zusammen. Es waren gesegnete Jahre – bis zum Ruhestand des Pfarrers.

Heute frage ich mich manchmal: Hätte ich früher aufgeben sollen? Und an anderen Stellen meines Lebens: Hätte ich bleiben sollen, statt zu gehen?

Jeder von uns kennt solche Phasen. Entscheidungen, die uns innerlich zerreißen. Der Chef, der uns zermürbt. Die Wohnsituation, die uns keine Ruhe lässt. Eine Beziehung, die sowohl Heimat als auch Hölle sein kann. Der große Traum, dem plötzlich die Kraft ausgeht.

Immer wieder stehen wir vor der Frage: Soll ich bleiben – oder gehen?

In der Bibel begegnet uns eine Frau, die genau diese Spannung kennt: Ruth. Ihre Geschichte ist nicht nur berührend, sondern zutiefst inspirierend. Nachdem sie ihren Mann verloren hat, steht sie mit ihrer Schwiegermutter Noomi vor einer Entscheidung: zurück in die alte Heimat – oder mit Noomi in eine ungewisse Zukunft?

Anders als ihre Schwägerin Orpa sagt Ruth:

„Besteh nicht darauf, dass ich dich verlasse! Ich will mich nicht von dir trennen. Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott“ (Ruth 1,16 HfA).

Ruth entscheidet sich nicht aus Berechnung. Sie lässt sich nicht von Angst oder Unsicherheit leiten, sondern von Treue – zu Noomi, aber vor allem zu dem Gott, den sie durch sie kennengelernt hat. Ihre Entscheidung war mutig, gegen den Augenschein – und genau darin zeigt sich echter Glaube.

Ich möchte Orpa nicht verurteilen. Aber was ich aus Ruths Geschichte lerne, ist: Nicht das Bleiben macht dich stark – und nicht das Gehen macht dich schwach. Stärke liegt darin, Gottes Stimme zu hören – und ihr zu folgen.

Du und ich – wir sind keine Helden, weil wir durchhalten. Und keine Versager, weil wir aufgeben. Wir sind Kinder Gottes, geschaffen nach seinem Bild, geführt von seinem Geist.

Deshalb meine Frage an dich (und mich): Gibt es etwas, von dem du am liebsten weglaufen würdest – aber Gott will, dass du bleibst und es zu Ende führst? Dann bitte ihn um Kraft.

Oder kämpfst du, etwas aufrechtzuerhalten, das du längst loslassen solltest? Dann bitte Gott um Mut – und offene Türen.

Sei gesegnet.

„Manchmal ist das Mutigste, was man tun kann, zu bleiben. Manchmal ist es, zu gehen. Der Schlüssel ist, Gott zu folgen, so oder so“ (Bob Goff).

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