Mose mit seinem Volk
Jürgen Ferrary
18. Juni 2025

In meinen fünften Klassen behandle ich meist zu Beginn des Schuljahres das Thema: „Gebet in drei Weltreligionen“. Oft habe ich das Glück, dass ich christliche Kinder in meiner Lerngruppe habe, manchmal auch muslimische, selten jüdische – Kinder, die bereit sind, den anderen von ihren Erfahrungen mit dem Gebet zu erzählen.

Einmal hatte ich einen jüdischen Jungen in meinem Unterricht, der ein Gebet aufsagte: das „Schema Israel“. Es lautet: „Höre, Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins.“ (Hebräisch: „schəma jisrael adonai elohenu adonai echad“)

Es entstammt den Anfangsworten aus 5. Mose 6,4–5. In der Übersetzung Hoffnung für alle lesen wir:
„Hört, ihr Israeliten! Der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Ihr sollt ihn von ganzem Herzen lieben, mit ganzer Hingabe und mit all eurer Kraft.“

Es ist eine der ersten Bibelstellen, die jüdische Kinder auswendig lernen. Und es ist nicht nur ein Gebet oder eine Formalität – das Schema ist der Herzschlag des jüdischen Glaubens. Man sagt, es sei das Gebet, mit dem das Glaubensleben beginnt – und für viele auch das Gebet beim letzten Atemzug.

In frommen jüdischen Häusern gehört das Schema noch mehr zum Alltag als das Vaterunser in christlichen Familien. Es wird täglich rezitiert – morgens und abends – und bildet einen heiligen Rhythmus, der sich über Generationen erstreckt. In Freude und Leid, im Gehorsam und sogar im Martyrium ist das Schema das Bekenntnis, das ein jüdisches Leben einrahmt, das ganz dem Herrn gewidmet ist.

Auch Jesus kannte dieses Gebet. Er zitiert es, als er in Markus 12 von einem Schriftgelehrten gefragt wird:
„Welches ist von allen Geboten Gottes das wichtigste?“
Jesus antwortet:
„Dies ist das wichtigste Gebot: ›Hört, ihr Israeliten! Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Ihr sollt ihn von ganzem Herzen lieben, mit ganzer Hingabe, mit eurem ganzen Verstand und mit all eurer Kraft.‹ Ebenso wichtig ist das andere Gebot: ›Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.‹ Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese beiden.“
(Markus 12,28–31 HfA)

Schriftgelehrte waren damals so etwas wie die geistliche Elite – eine Instanz. Sie waren Hüter des Gesetzes, schrieben die Heilige Schrift akribisch von Hand ab, mit großer Ehrfurcht. Sie waren so streng in ihrer Auslegung, dass sie oft Konflikte mit Jesus hatten.

Und dennoch: Dieser eine Schriftgelehrte war so offen und berührt, dass er Jesus ehrlich fragte. Und Jesus zögerte nicht. Er antwortete mit dem Schema, weil diese Worte keine Fußnote, sondern das Fundament sind.

„Höre, Israel! Höre“ – Dieses erste Wort ist der Schlüssel. Die Liebe zu Gott – mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Verstand und ganzer Kraft – sowie die Liebe zum Nächsten und zu sich selbst, sind wie ein geistlicher Filter, durch den wir die ganze Welt sehen sollen.

Und alles beginnt mit diesem ersten Wort: Hören.
Sicherlich hast du eine Ahnung, was dieses „Hören“ bedeutet. Du hörst Tag für Tag alle möglichen Stimmen – viele Wahrheiten, viele Lügen. Aber „hören“ im biblischen Sinn ist noch mehr. Es meint: mit dem Herzen hören, gehorsam werden, sich ausrichten.
War es nicht das, was deine Eltern immer wollten, wenn sie sagten: „Jetzt hör doch mal!“ – nicht nur akustisch, sondern innerlich aufmerksam und bereit?

In den nächsten Tagen wollen wir uns anschauen, was dieses „Hören“ ganz praktisch bedeutet.
Für heute: Ohren auf – für das, was Gott uns zu sagen hat.

Sei gesegnet!

„Zuhören ist vielleicht der wichtigste Beitrag, den wir zum Frieden leisten können.“ (Henri Nouwen).

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