Ich leite gerade eine mehrwöchige Veranstaltung, die sich an Christen wie Nichtchristen wendet und die Grundthemen des Glaubens behandelt. Nach einem leckeren Essen gibt es einen anschaulichen Vortrag, danach geht es in Kleingruppen, um über das Gehörte zu sprechen, zu diskutieren, Fragen zu stellen oder einfach nur eine gute Zeit gemeinsam zu haben. Am vergangenen Freitag kam eine Frau in meine Gruppe, der es schwerfiel, das Zentrum des Glaubens zu ergreifen: die Liebe.
Immer wieder fragte sie: „Ich muss also … damit Gott?“ Immer wieder versuchte ich ihr darzulegen, dass wir nichts leisten können und auch nichts leisten brauchen, denn Gott handelt aus reiner Liebe zu uns. Und genau das verstand die Frau nicht.
Ich weiß nicht, welchen Hintergrund die Teilnehmerin hat, denn sie war das erste Mal beim Kurs dabei. Aber grundsätzlich schmerzt es mich, wenn Menschen das Gefühl haben, sie müssten Liebe oder Anerkennung von anderen irgendwie erarbeiten oder erkaufen.
Es ist auch sehr schwer zu verstehen, dass Gott uns Menschen einfach nur liebt, weil er uns einfach liebt. Als ich einen meiner ersten Verse der Bibel zitierte, den ich je auswendig gelernt hatte, durchzuckte es mich regelrecht innerlich. Ich hatte den Eindruck, Gott hätte sie mir aufs Herz gelegt, damit sie mich innerlich veränderten.
Es sind sehr berühmte Worte von Jesus, die Johannes, ein Freund von Jesus, aufgeschrieben hat. Sie lauten: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hingab. Jeder, der an ihn glaubt, soll nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er sie verurteilt. Vielmehr soll er die Welt retten“ (Johannes 3,16-17 BB).
Mir wurde plötzlich bewusst, wie viel Gewicht wir auf die Osterfeierlichkeiten legen. Wir besuchen seit einigen Jahren langjährige Freunde und nehmen dafür viel Zeit in Kauf, denn sie wohnen sehr weit weg. Wir feiern Ostersonntag mit ihnen ein großes Fest mit gutem Essen, Spiel und Spaß und toller Gemeinschaft.
Und ja, wir gehen vor Ort auch in die Kirche, aber alles hat so einen Touch von Normalität, von Selbstverständlichkeit bekommen. Ostern ist natürlich eine freudige Angelegenheit, aber wie oft verinnerlichen wir wirklich die Bedeutung dessen, was am Karfreitag geschah?
Ich musste gerade eine Trauerrede für einen völlig unerwartet verstorbenen Freund verfassen. Mit 37 Jahren hörte sein Herz plötzlich auf zu schlagen. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder. Mir zerreißt der Gedanke das Herz.
Ich muss hilflos mit ansehen, wie diese Familie leidet, wie der Verlust sie an den Rand dessen bringt, was ein Mensch tragen und ertragen kann. Und mir ist mit einem Schlag bewusst geworden, was es Gott bedeutet hat, dass man seinen Sohn umgebracht hat, dass man ihn brutal folterte und dann an ein Kreuz hing, wo ihn ein furchtbarer Tod erwartete.
Gott hat auch Emotionen, Gott trauert ebenso, wie wir Menschen. Und Gott spürt auch den Schmerz, den wir Menschen spüren. Was ist das für eine Liebe, die Gott uns bewiesen hat, indem er es hat geschehen lassen, dass sein Sohn für unsere Schuld, für unsere Vergehen, für unsere schlechten Entscheidungen hat bezahlen lassen?
Durchlaufen wir im Glauben bloß Routinen, ohne die emotionale Tiefe unseres Glaubens wirklich zu erfassen oder anzunehmen? Lassen wir das Geschehen an uns heran? Lassen wir uns dadurch verändern?
Denn letztendlich reicht die Bedeutung des Kreuzes weit über einen einzigen Tag oder eine Jahreszeit hinaus – sie umfasst unser gesamtes Dasein. Sie fordert uns auf, in Jesu Fußstapfen zu treten, sowohl den Schmerz seines Leidens als auch den Triumph des leeren Grabes in unserem täglichen Leben anzunehmen.
Wir müssen nichts leisten, wir müssen nur „Ja“ sagen. Und wenn wir das tun und erleben, dass die Geschichte von der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu wahr ist, dann wächst in uns ein tiefes Vertrauen, eine tiefe Hoffnung: Das, was hier auf Erden geschieht, ist nicht alles.
Schmerz, Krankheit und Tod sind furchtbare Dinge, aber der Tod hat nicht das letzte Wort. Ich weiß heute: Das Beste kommt noch. Und nicht, „weil ich … und Gott deswegen“, sondern nur: weil Gott den Weg frei, die Tür auf und die Versöhnung möglich gemacht hat.
Und alles nur aus Liebe!
Sei gesegnet!
„Göttliche Liebe ist nicht weich wie eine Weihnachtsschnulze, sondern hart wie eine Krippe und ein Kreuz aus Holz“ (Arno Backhaus).