Vergeben

Irgendwann sagte jemand mal zu mir: „Wenn du frei sein willst, dann musst du anfangen, Vergebung zu üben.“ Ich glaube, kaum etwas ist so schwierig im Leben wie das Vergeben. Kaum etwas ist aber auch so befreiend, wie zu vergeben. Zu vergeben hatte ich genug.

Und es gab genügend Grund, Vergebung auszusprechen. Da musste ich nicht lange nachdenken.

Ganz oben

Ganz oben auf der Liste stand meine Mutter. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, da hatten wir einen Kasten Bier und eine Flasche Appelkorn im Kühlschrank, aber nichts zu essen. Wenn wir als Kinder nach Hause kamen, wussten wir nie, was uns erwartete: Mal saß da eine völlig am Boden zerstörte Frau, die gerade weinend darunter litt, dass ihr Leben so furchtbar war, mal begrüßte uns die Furie, die uns im nächsten Augenblick den Hintern versohlte.

Leid

Oh ja – wenn es jemanden gab, der mir viel Leid angetan hatte, dann war das meine Mutter. Und ihr sollte ich vergeben? Niemals! Dazu müsste sie erst einmal ankommen und sich für all das, was sie meinem Bruder und mir angetan hatte entschuldigen. Und das würde sie nicht tun.

Gebet „Vater unser“

„…wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“, beteten wir jeden Sonntag als Teil des Vaterunsers in der Gemeinde, in die ich ging. In einer moderneren Übersetzung las ich dann einen Satz, der mich traf, weil ich ihn besser verstand: „… und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind.“

Frei machen

Wie so oft in meinem jungen Glauben bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich dachte: Wenn du nicht vergibst, dann vergibt dir Gott nicht. Dann verlierst du Gott wieder. Als ich dann anfing auszusprechen, dass ich vergeben möchte (auch, wenn mein Gefühl so absolut nicht hinterherkam), merkte ich, dass es Gott nicht darum geht, mir Angst einzuflößen, sondern darum, mich freizumachen.

Druck ablassen

Zu vergeben ist wie Druck aus dem Kessel zu lassen. Es macht mein Leben leichter, weil ich die Dinge, die an meiner Seele kleben loswerde. Es ist kein Zufall, dass Vergebung Teil des Gebetes ist, das Jesus seinen Freunden gelehrt hat.

Es bleibt also an mir, ob ich das – wie ich es früher tat – einfach so „herunterbete“ oder ob ich es ernst meine und erlebe, wie es mich befreit.

Offen in die Augen schauen

Gott hat es mir übrigens geschenkt, dass ich meiner Mutter frei und liebevoll die Hand kurz vor ihrem Tod halten konnte, der sie sicherlich als Folge ihres wirklich heftigen Lebenswandels in jungen Jahren getroffen hatte. Ich konnte ihr klar und offen in die Augen schauen. Das war gut!

Richtung Freiheit

Wem musst du vergeben in deinem Leben – vielleicht für Dinge, die lange her sind, vielleicht für Aktuelles, was dich getroffen hat? Lasst uns heute gemeinsam einen Schritt in Richtung Freiheit gehen und aktiv werden.

Sei gesegnet!

https://juergens-gedanken.blogspot.com/

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de