Er ist Theologe, Pfarrer und Journalist und war bis 2017 Leiter und Chefredakteur der Evangelischen Nachrichtenagentur „Idea“: Helmut Matthies. Letzte Woche stellte er in Berlin sein Buch „Gott kann auch anders“ vor. Darin geht es nicht nur um politische Fragen, sondern auch um sehr persönliche Erfahrungen in seinem Leben, die er so beschreibt: »Ich kann mich darauf verlassen, dass Gott das Beste für mich will, auch wenn ich es im Augenblick nicht erkenne.«

Wiedervereinigung ein Wunder Gottes

Dass Gott auch anders könne, begann Helmut Matthies seinen Vortrag, zeige sich am Beispiel der Wiedervereinigung. Der „Eiserne Vorhang“ fiel, obwohl die meisten geglaubt hatten, dass er nie fallen würde. Noch fünf Wochen vor dem Mauerfall bezeichnete der Kirchenmann Manfred Stolpe jedes Reden von der Wiedervereinigung als „objektiv friedensgefährdend“. Man könne es nur als „Wunder Gottes“ bezeichnen, dass die DDR-Diktatur friedlich endete. Um so unverständlicher sei, dass die Kirchen immer noch nicht die zahlreichen Christen gewürdigt habe, die Gott als Werkzeuge für dieses Wunder eingesetzt hätte. Sie erhalten heute oft eine viel kleinere Rente als die Funktionäre der Diktatur.

Reich an Geld, arm an geistlicher Kraft

Danach kam Helmut Matthies auf die Frage des 11. Kapitels seines Buches zu sprechen: Wird die Volkskirche überleben? Die Landeskirchen in Deutschland seien zwar reich an Steinen (Gebäuden) und Geld, aber „arm an geistlicher Kraft und überzeugten Mitgliedern“. Im 19. Jahrhundert habe sich die EKD am Bürgertum und Adel orientiert, die Arbeiter aber vernachlässigt. In der Weimarer Republik beargwöhnte sie die Demokratie und in der Zeit des Nationalsozialismus standen alle Landeskirchen mehr oder weniger auf der Seite Hitlers – sogar noch nach dem Attentat im Juli 1944. Nach dem Kriege rückten die Kirchen im Westen im Zuge der Studentenunruhen 1968 nach links, im Osten beugte man sich dem Druck der SED. »Wo bleiben die Konservativen heute in dieser Kirche?», fragte Matthies.

Kein Platz für Konservative

Der Rat der EKD weise seit langem kein Mitglied mehr aus, das sich politisch und theologisch als konservativ bezeichnen würde. Fast alle Repräsentanten des landeskirchlichen Protestantismus in Deutschland in den letzten 20 Jahren waren Mitglieder der SPD. Das letzte konservative Mitglied im Rat der EKD sei bis 2009 Peter Hahne gewesen. In den Synoden sei jetzt nur noch das linksliberale Milieu vertreten.

Wer kritisiert, wird abgestraft

Wer diese Tendenz kritisiere, werde finanziell abgestraft. So habe man der Nachrichtenagentur „Idea“ Ende 2017 den ohnehin schon geringen Zuschuss von 132.000 € pro Jahr gestrichen. Das Ganze geschah ohne vorherige Ankündigung, Begründung und ohne eine einzige Gegenstimme. Das umstrittene Chrismon-Magazin werde aber weiterhin mit 4 Millionen € jährlich finanziert. Im August 2018 brachte es einen Beitrag über eine Gießener Abtreibungsärztin unter dem Titel „Die Retterin“.

Mangel an geduldeter Meinungsfreiheit

Es gebe einen Mangel an geduldeter Meinungsfreiheit in der EKD, beklagte Matthies, theologisch konservative Positionen würden seit Jahrzehnten diskriminiert. Infolge dieser Entwicklung habe sich die Zahl der evangelischen Christen von 41 Millionen im Jahr 1950 auf nur noch 21 Millionen reduziert. Es ging fast jedes zweite Kirchenmitglied verloren. Die katholische Kirche verlor in dieser Zeit nur 2,2 Millionen Mitglieder. Trotzdem seien keine Kursänderungen in Sicht. Oft werde er deshalb gefragt, ob man aus einer solchen Kirche nicht austreten solle. Matthies empfahl, sich lieber eine christuszentrierte Gemeinde zu suchen.

Vorschläge zur Erneuerung

Wenn sich etwas ändern solle, müsse sich die ganze Kirche auf Mission umstellen. Vor 20 Jahren waren noch in jeder Landeskirche Evangelisten angestellt, die den Glauben verbreiten sollten. Heute gebe es keinen einzigen mehr. Synoden finanzieren Gleichstellungsbeauftragte, aber keine Missionstätigkeit hierzulande. Es werde debattiert über Migration, Feminismus, Klimawandel, Homosexualität oder Rechtsextremismus, nicht aber über das, was Jesus wünscht: Wie schaffen wir es, möglichst viele Menschen mit der christlichen Botschaft zu erreichen?

Ursachen von Austritten

Matthies schlug vor, dass die EKD jedes Jahr einen Bericht zur Christianisierung vorlegen soll. Jede Kirchenleitung sollte Rechenschaft ablegen über die Ursachen von Austritten. Keine Synode aber habe bisher gefragt, warum in einem Jahr 220.000 (2018) Menschen die Kirche verlassen. Ein Kirchensteuerzahlerbund solle gegründet werden, der darauf achte, dass die Gelder nicht für kirchenferne Projekte wie Genderzentren ausgegeben werden.

Ungläubige Pfarrer

Ein weiteres Problem der Volkskirchen seien die vielen Pfarrer, die nicht mehr an das glauben, was im Apostolischen Glaubensbekenntnis zusammengefasst ist. Laut einer Umfrage würden 66 % der Pfarrer in einer Landeskirche sagen, sie glauben nicht, dass Jesus wirklich auferstanden ist. In einer Bratwurstfabrik werde man kaum einen bekennenden Vegetarier als Marketingchef einsetzen. Und so sollte man auch nicht mehr Menschen zu Pfarrern ernennen, die wichtige Punkte des Glaubens an Christus leugnen.

Matthies schlug auch vor, um massive Einseitigkeiten zu mindern, die Kandidaten für die Synode direkt von den Gemeindemitgliedern wählen zu lassen. Das sei bisher nur in Baden-Württemberg der Fall.

Hohe Einnahmen verhindern einen Kurswechsel

Die hohen Einnahmen durch Kirchensteuern (2018 fast 6.000 Millionen €), die trotz Austritten ständig zunehmen, verhinderten ebenfalls einen Kurswechsel. „Die Kirchen schwimmen im Geld“, titelte die FAZ. Deshalb sollte eine Reform der Kirchensteuervergabe vorgenommen werden. 99,9 % der Kirchensteuerzahler hätten keinen Einfluss auf die Vergabe. Das müsse geändert werden.

Katholische Kirche öffnet sich dem Zeitgeist

Bisher stand die katholische Kirche in Deutschland mit Kardinal Meisner oder Bischof Dyba wie ein Fels in der Brandung des Zeitgeistes. Inzwischen sei aber auch hier eine „ungute Protestantisierung“ festzustellen und auch katholische Bischöfe würden bedenkliche Positionen vertreten. Viele Christen hätten nicht begreifen können, dass Kardinal Marx zusammen mit Bischof Bedford-Strohm in Jerusalem sein Amtskreuz abgelegt habe. In ihren Grußworten an Muslime zum Ramadan würden sie ihren Herrn Jesus Christus mit keinem Wort mehr erwähnen: »Schämt man sich seiner?«

„Unheilvolle protestantische Zeitgeisttheologie“

Viele katholische Oberhirten würden sich in die Nähe einer „unheilvollen protestantischen Zeitgeisttheologie“ bewegen. Und wenn Erzbischof Koch in Berlin Greta Thunbergs Auftreten mit dem Einzug Jesu in Jerusalem vergleiche, dann grenze das schon an Blasphemie. Bischöfe hätten nach dem Neuen Testament den Auftrag, die christliche Botschaft glaubwürdig allen Menschen zu vermitteln: »Wenn sie aber der Bevölkerung hauptsächlich durch politische Aussagen bekannt sind, verfehlen sie in einer Demokratie mit zahlreichen Parteien ihr Amt.«

Allein Christus

Es wäre viel gewonnen, wenn sich katholische und evangelische Christen auf das „Allein Christus“ einigen könnten: „Denn nur das Bekenntnis zu Christus in Wort und Tat ist die Eintrittskarte in den Himmel.«

Warum er das Büchlein geschrieben habe? Seine Frau bekam mit 61 Jahren die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs mit Metastasen. Die letzten 8 Monate mit ihr habe sein Bild von Gott, dem Leiden und Sterben sehr verändert: »Gott allein bestimmt das Ende. Er ist der Herr über Leben und Tod. Deshalb ist das größte Heilungswunder für mich, Ja zu Gottes Wegen sagen zu können. Und dieser Weg verläuft für jeden anders. Wir haben Pläne, aber Gott hat ein Ziel mit uns. Im Himmel spätestens werden wir einmal erfahren, warum er mit uns auf krummen Wegen gerade gegangen ist. Es stimmt nicht, wenn Marxisten meinen, Christen werden auf das Jenseits vertröstet. Das Gegenteil ist der Fall: Sie werden aus dem Jenseits getröstet. Der Tod ist für sie so ein Sprung in die Arme Gottes.»

Gerhard Lenz für GottinBerlin.de

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