Achterbahnfahrt

Seit einer Woche gibt es in einer der Schulen, in der ich arbeite, wieder Religionsunterricht – und ich muss sagen, diese eine Woche war für mich (und die Kids) eine emotionale Achterbahnfahrt. Wir hatten uns ja lange nicht gesehen, die Freude war also groß, aber dann auch irgendwie gedämpft, denn durch den Mindestabstand von 1,50 m auch irgendwie unnatürlich.

Größte „Waffe“

Dazu kommen die Masken, die getragen werden sollen, sobald ein Kind den Platz verlässt oder die Gruppe durch das Schulhaus geleitet wird. Die größte „Waffe“, die ich habe, mein breites Lächeln, ist mir genommen.

Berichte

Wir nahmen uns zu Beginn viel Zeit, dass die Kids über die vergangenen neun Wochen berichten konnten. Dabei reichte die Spannweite von dem, dass die Zeit als „Corona-Ferien“ bezeichnet wurden bis hin, dass es ganz schlimme Wochen waren, weil selbst Einzelkinder den ganzen Tag allein zu Hause bleiben mussten, weil die Eltern oder auch der allein erziehende Elternteil eben arbeiten gehen mussten.

„Stille-Übung“

Insgesamt war die Stimmung aber gut und von der Wiedersehensfreude geprägt. Jedes der Kinder hatte die Möglichkeit zu erzählen, dann bot ich eine „Stille-Übung“ an. Ich ließ leise instrumentale Lobpreis-Musik laufen, bat die Kinder, sich auf den Boden zu legen und die Augen zu schließen. Nach einem Moment des Ruhig-Werdens (wir achteten nur auf die Atmung und versuchten so, alle störenden Gedanken für einen Moment auszublenden), lud ich die Kids ein, sie sollten in Gedanken an den Ort gehen, wo ihre Gefühle sind – das Herz – und sollten schauen, was für Gefühle sie empfinden, wenn sie an die vergangenen Wochen des Lockdowns denken würden.

Gefühle

Direkt im Anschluss ging es zurück an die Plätze, wo ich darum bat, diese Gefühle irgendwie auf ein Blatt Papier zu bringen – als Bild, in Worten, als Farb-Arrangements oder als Gedicht. Der Kreativität wurden keine Grenzen gesetzt. Was herauskam, war umwerfend. Die Kinder konnten Gefühle herauslassen, die sie wahrscheinlich im Gespräch mit und vor ihren Klassenkameradinnen und Klassenkameraden nie so geäußert hätten.

Kinder aus verschiedenen Klassen- und Altersstufen begannen zu weinen, andere ließen ihre Wut heraus. Auch wenn ich zugeben muss, dass es ganze zwei Schüler gab, die die Übung doof fanden, haben alle anderen gesagt, dass dies der erste Moment überhaupt war, wo sie hätten über die Corona-Zeit reden und vor allem ihre Gefühle hätten abfließen lassen können. Ich bin so dankbar.

Emotionen

In unserem Alltag haben wir oft wenig Chancen, Emotionen zu registrieren und darauf zu reagieren. Wir müssen oft einfach nur funktionieren. Dabei ist es so wichtig. Gott hat uns ja Gefühle nicht für nichts gegeben. Und, wenn ich diese in mich reinfresse – oder sie in die Schublade packe, dann geht es mir nicht besser.

Veränderung

Diese Zeit macht etwas mit uns, sie verändert uns – oder Gott nutzt die Zeit und tut etwas. Entweder die Umstände haben Macht über mich oder Gott. Nur ein Beispiel. Ist dir schon mal aufgefallen, wie du innerlich reagierst, wenn du im Supermarkt niesen musst? Plötzlich ist das ganz komisch wegen Corona und du versuchst, es möglichst zu unterdrücken oder so zu niesen, dass es keiner mitbekommt.

Gefühlsleben

„Seid stille und seht, dass ich Gott bin!“, heißt es in Psalm 46. Es ist wichtig, sich Zeit für sein Gefühlsleben zu nehmen und Gott wirken zu lassen. Auch das wird mich verändern, weil Gott tröstet, Mut spendet, aufbaut, Hoffnung gibt, …

Ernten

Aber es ist besser, dass ER verändert, der mich liebt und es gut mit mir meint, als dass „die Welt“, die Umstände, Ängste und Sorgen mich verändern. Denn diese schütteln mich wie ein Blatt im Wind. Gott hat versprochen, dass ich Freude ernten werde, wenn ich mit Tränen säe.

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken zum Tag zum selbst Lesen oder weiterleiten: https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de