Lehrmeisterin

Wieder einmal war mir meine 6-jährige Tochter Sarah eine gute Lehrmeisterin fürs Leben: Es ist nicht schwer, eine Heldin zu sein. Denn gestern hat Sarah eine kleine Heldentat getan und damit einen anderen Menschen glücklich gemacht.

Wir waren zu Fuß unterwegs von der Betreuung (Sarah wird ja heute erst eingeschult) mit einem Umweg am Paketshop vorbei nach Hause. Im Paketshop fragte Sarah, ob sie ein Eis bekommen dürfe. Es war sehr warm, der Weg war lang und anstrengend, da musste ich nicht lange nachdenken.

Geben ist seliger als Nehmen

Es gab aber noch ein Problem. Sarah wollte unbedingt in ein anderes Geschäft gehen – und Eisessen darf man im Laden ja nicht. Also blieb es verpackt. Ich trieb Sarah ein Stück an, indem ich sagte: „Bitte beeil dich ein wenig, sonst schmilzt dein Eis!“ Die Verkäuferin hörte das und meinte verschmitzt: „Auf Eis hätte ich auch Lust. Darf ich dein Eis haben?“

Ich schaute Sarah an und fragte: „Darf sie dein Eis haben?“ Sarah dachte noch nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde nach und sagte: „Ja, Sie dürfen das Eis gerne essen!“ „Das war doch nur ein Scherz,“ entgegnete ihr die freundliche Verkäuferin. Aber Sarah blieb hartnäckig: „Sie können es ruhig nehmen. Sie haben gefragt, jetzt gehört es Ihnen.“

Die Verkäuferin wusste anscheinend gar nicht, wie ihr geschah. Erst schaute sie verdutzt, dann lächelte sie, als hätte sie gerade Weihnachten und Ostern zusammen erlebt. Und Sarah? Die ging fröhlich ihres Weges.

Draußen fragte ich sie noch, ob wir noch einmal nach nebenan gehen sollten, um ein neues Eis für sie zu kaufen. Ihre Antwort machte mich wirklich sprachlos: „Nein Papa, ich will kein Eis mehr. Mir reicht es, dass die Frau so glücklich war …“

Ich muss gestehen, dass Sarah nicht immer so selbstlos ist, aber es ist einer ihrer wirklich großartigen Charakterzüge, sehr oft eher an andere zu denken als an sich selbst. Es macht sie glücklich, wenn sie sieht, dass andere glücklich sind. Mir kam gleich das alte Sprichwort in den Kopf „Geben ist seliger als Nehmen …“ 

Abschied

Es kommt aus einer Abschiedsrede von Paulus. Er will die Stadt Ephesus verlassen, in der er mehrere Jahre gelehrt hatte und zurück nach Jerusalem gehen, wohl wissend, dass das Gefahr für sein Leben bedeutet. Und in dieser Abschiedsrede fällt auch der berühmte Satz: »’Ihr wisst selbst, dass ich den Lebensunterhalt für mich und meine Begleiter mit meinen eigenen Händen verdient habe. Damit wollte ich euch zeigen, dass man hart arbeiten muss, um auch noch den Armen etwas abgeben zu können. Dabei sollen wir immer an die Worte denken, die unser Herr Jesus selbst gesagt hat: Geben macht glücklicher als Nehmen.‘  Nach diesen Worten knieten alle nieder und Paulus betete mit ihnen. Sie küssten und umarmten Paulus zum Abschied; viele weinten laut, vor allem deshalb, weil er ihnen gesagt hatte, sie würden ihn nicht wiedersehen. Dann begleiteten sie ihn zum Schiff» (Apostelgeschichte 20, 34-38).

Paulus hatte selber nicht viel. Lebte er heute, würde man sagen, er wäre arm. Er lebte sozusagen von der Hand in den Mund: Kein Beamtengehalt, kein Mindestlohn, keine regelmäßigen Einnahmen. Dennoch denkt er an die, die noch ärmer sind, als er. Es geht ihm dabei nicht um ein Gesetz, das Jesus ihm mitgegeben hat oder eine Regel, die es gilt zu befolgen – es geht ihm darum, dass er verstanden hat, was Jesus gesagt hat, nämlich, dass das Geben einen Menschen glücklicher macht als das Nehmen.

Erfahrung

Das Eis, das Sarah gestern von mir bekommen hat, wäre nur wenige Minuten später in ihrem Bauch verschwunden. Noch ein paar Minuten später – und sie hätte gar nicht mehr daran gedacht, dass sie so etwas Leckeres, Erfrischendes gegessen hatte. Ihre Erfahrung gestern, die Frau so erstaunt und glücklich zu sehen, hat sie den ganzen Tag begleitet, so dass sie es bis abends jedem, der es noch nicht wusste, gleich erzählen musste: Du, ich habe heute einer Verkäuferin mein Eis geschenkt. Die hat sich aber gefreut … „

Und eine zweite Sache habe ich für mich gelernt: Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott, wenn ich gebe, dafür sorgen wird, dass ich keinen Mangel habe. Mir war es sofort klar, dass ich Sarah ein neues Eis kaufe, wenn sie ihres weggibt. Wenn sie so selbstlos ist, soll sie keinen Mangel erleiden.

Ich bin nur ein menschlicher Vater, der sich Mühe gibt und sich von der Liebe zu seinen Kindern antreiben lässt. Gott ist ein perfekter Vater. Er würde das ebenso wenig zulassen.

Macht Geben glücklich?

Und sogar noch ein Drittes: Sarah war glücklich und wollte deswegen gar kein Eis mehr (abends hat sie dann doch noch eins aus dem Tiefkühler genommen …). Manches Mal erleben wir, dass uns gar nichts fehlt, wenn wir großzügig sind. Habe ich, dann will ich. Gebe ich weg, merke ich, dass mir nichts fehlt. Klingt komisch? Ist aber so.

Wenn ich einen großen Eisbecher habe, dann esse ich ihn im Zweifelsfall auch. Wenn ich ihn meinen Kindern schenke, habe ich noch nie erlebt, dass ich traurig bin, weil ich so ein armer Tropf bin, der zu wenig hat. Das bringt mich zum Nachdenken, was das Geben allgemein angeht. Denke ich wie Paulus auch an die, die es nötiger haben als ich?

Gebe ich gerne, wenn ich Mangel sehe? Oder an die Gemeinde? Oder an Hilfsorganisationen? Mir hat der gestrige Tag wieder einmal gezeigt, wie überreich meine Familie und ich beschenkt sind. Mein Entschluss ist es, selbstloser leben zu wollen, voller Vertrauen, dass ich trotzdem keinen Mangel leide. Und wenn das Wort von Jesus stimmt, dann hat das ja auch noch den Nebeneffekt, dass ich glücklicher werde. Einen Versuch ist es wert …

Beten

Ich zumindest bete um so ein Herz, wie meine Tochter hat – machst du mit?

Sei gesegnet!

 

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten – https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de