Frauenhände zur Schale geformt

Lehre uns beten!

Man stelle sich die Situation einmal vor: Wieder einmal waren Jesus und seine Freunde unterwegs. „Einmal hatte Jesus Halt gemacht, um zu beten“ (Lukas 11, 1 NLB). Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Für Jesus war es normal, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um mit seinem Vater zu sprechen. Aber was dann geschieht, verwirrt schon etwas: 

Als er aufgehört hatte zu beten, kam einer seiner Jünger zu ihm und bat: »Herr, lehre uns beten, so wie Johannes es seine Jünger gelehrt hat.«

Hey, die Freunde von Jesus waren alles fromme Juden, die in ihrer Tradition und ihrem Glauben groß geworden sind. Für sie war es normal, jeden Tag dreimal zu beten, so wie es die Schriften der Tora und des Talmuds es ihnen vorgegeben hatten. 

Es geht nicht um Tradition

Aber an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben merkten sie: Jesus geht es um etwas anderes als um Tradition. Auch, wenn sie Dinge schon immer in einer bestimmten Art und Weise gemacht hatten, so kamen sie damit nicht einen Schritt weiter. 

Die Art, wie Jesus zu Gott sprach, war anders, als die Gebete, die die Freunde seit klein auf gelernt hatten. Ob Jesus dabei eine Kippa (Käppchen), ein Tallith (Gebetsumhang) und werktags Tefillin (Gebetsriemen) trug, ist nicht bekannt. Das spielt auch eigentlich keine Rolle, denn es ging um die Beziehung, die Jesus im Gebet lebte und nicht um Äußerlichkeiten.

Als er dann den Freunden sagte: Wenn ihr betet, dann sprecht: »Vater, dein Name werde geehrt.« Lukas 11, 2 NLB) war das Erstaunen groß. So hatten sie noch nie mit Gott gesprochen. Noch nie hatten sie Gott mit „Vater“ angeredet. 

Wir leben fast 2000 Jahre nach dieser Begebenheit und haben das „Vaterunser“ in der Bibel überliefert bekommen. In vielen Gottesdiensten wird es gebetet, dazu bei wichtigen Festen, wie Taufe, Einsegnung, Hochzeit und Bestattung. 

Es gibt wohl kaum einen Christen, der es nicht kennt. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass auch wir es wieder nötig haben, zu Jesus zu gehen, um ihn zu bitten: „Herr, lehre uns beten!“ Denn so, wie eine bestimmte Art und Weise zu beten zu den frommen Juden, die Jesus damals folgten, gehörte, so gehören das Vaterunser oder bestimmte andere Gebete zur Tradition unseres Glaubens. Das macht man eben so. So betet man eben. 

Fallen lassen

Jesus ging es beim Beten aber um etwas anderes, als uns eine neue Tradition zu schenken. Es ging ihm darum zu zeigen, dass Glaube Beziehung bedeutet. Wenn ich bete: „Vater unser im Himmel …“ – dann ist das ein Ausdruck davon, dass ich als Kind dankend und bittend zu meinem himmlischen Vater komme, der mich liebt, der mich hört und der mich umsorgt. 

Und genau das verlernen wir so schnell. 

Gebet heißt, dass ich mich in die Arme Gottes fallen lasse, dass ich es zulasse, dass er mich tröstet, aber auch, dass er mich zurechtweisen darf, dass er mich an die Hand nimmt und leitet, aber auch dass er mich festhalten darf, wenn ich in die verkehrte Richtung laufe. 

Mich schreckt manchmal folgender Gedanke auf: Wenn meine Kinder so mit mir sprechen würden, wie ich manchmal mit Gott spreche, dann wäre ich sehr verwundert, manchmal sogar etwas schockiert. 

Deswegen ist genau das mein Gebet: „Herr, lehre mich beten! Zeige mir, wie ich meine Tradition, meine Vorbehalte, meine Ängste und alles andere, was mich daran hindert, mit dir, wie mit einem Vater zu sprechen, loswerde, damit ich wie ein Kind zu dir kommen kann; mit offenem Herzen und offenem Geist und offenen Armen. Und dann hilf mir, dass ich mich fallen lassen und, dass ich vertrauen kann. Wie ein Kind eben, das zu seinem irdischen Vater kommt. AMEN.“

Sei gesegnet!

Weitere Gedanken und einen Song zum Tag gibt es hier: – zum selbst Lesen oder Weiterleiten https://juergens-gedanken.blogspot.com

Jürgen Ferrary für GottinBerlin.de