Kaum zu glauben: Ich sitze gemütlich auf dem Balkon, genieße die Morgensonne und blicke über das Tecklenburger Land. Es ist Sonntagmorgen, die meisten Klinikgäste schlafen heute ein bisschen länger. Ich bin hier zur Anschlussheilbehandlung – in der Reha.

Puh, was waren das für Monate! Bin ich da tatsächlich durch? Unglaublich! Ich lehnte mich in meinem Liegestuhl zurück. Angenehm warme Sonnenstrahlen schienen mir ins Gesicht. Vögel zwitscherten. Ruhe. Mir stiegen Tränen in die Augen. „Danke, Gott, das nehme ich jetzt ganz persönlich. Ich bin deine geliebte Tochter.“

Diagnose Brustkrebs

Besonders von Gott geliebt fühlte ich mich vor 10 Jahren überhaupt nicht. Damals, im Jahr 2008, als ich die Diagnose bekam: Brustkrebs. Was für ein schreckliches Wort. Was für eine grausame Diagnose. Ich? Brustkrebs?

Auszug

Meine beiden Kinder, 18 und 20 Jahre, waren kurz vorher ausgezogen. Eigentlich viel zu früh, fand ich, aber so sind sie eben, freiheitsliebend und abenteuerlustig – ganz die Mama. Also habe ich den Haushalt durch drei geteilt und die beiden ziehen lassen. Damals war ich Regionalleiterin für Westdeutschland (heute Region Ost) von „Weihnachten im Schuhkarton“, der weltweit größten Geschenk-Aktion für Kinder in Not.

Herausforderungen

Mein damaliger Wohnort Bremen (heute Berlin) war also nicht sehr vorteilhaft und so wechselte auch ich die Stadt und zog nach Bonn. Dort kannte ich zwar niemanden, aber schließlich gibt es überall Sammelstellen von „Weihnachten im Schuhkarton“. Also viele liebe Menschen. Was konnte schon schiefgehen?“ Schließlich arbeite ich für eines von Gottes geliebten Projekten. Und wenn ich mich sozusagen für Gott ins Abenteuer stürze, dann habe ich doch seine volle Unterstützung. Ganz problemlos fand ich eine Wohnung nah am Rhein, sogar mit einer netten, aufgeschlossenen Gemeinde gleich neben an. Wenn das keine Führung ist! „Na, dann mal her mit den Herausforderungen“ sprach ich zu mir. Ich habe wirklich Humor.

Krebsvorsorgeuntersuchung

Im September 2007 ging ich wegen einer routinemäßigen Krebsvorsorgeuntersuchung zu meiner neuen Gynäkologin. Alles okay. Doch freundlich und gewissenhaft wie sie war, meinte sie, eine vorsorgliche Mammographie wäre nicht schlecht. „Dann wissen wir, wo wir stehen.“ „Schön“, dachte ich mir. „Klappt doch alles prima, wenn man mit Gott unterwegs ist.“ Also ab zur Mammographie und zum Ultraschall. „Das sieht aber gar nicht gut aus“, sagte der Radiologe „über eine große Fläche Kalkablagerungen.“ Mir blieb die Luft im Halse stecken. „Ach, das ist nicht schlimm“, schoss es mir durch den Kopf- „Der eine hat Kalk im Kopf und der andere im Busen.“ Mein Humor!

„So einfach ist das nicht“, sagte der Radiologe ernst. „Wir müssen eine Stanzbiopsie durchführen. Es müssen Gewebeproben entnommen werden. Das können wir nicht auf die lange Bank schieben.“ „Das kann doch nicht wahr sein“ war mein erster Gedanke. „Das hat es doch in meiner Familie noch nie gegeben.“ Außerdem hatte ich auch gar keine Zeit für „solche Dinge. Im September! Da bin ich doch ständig im Reisedienst auf den Schulungstreffen für „Weihnachten im Schuhkarton“ unterwegs. Für uns ist Hochsaison. Da kann ich mich nicht mit solchen Dingen „wie Verdacht auf Brustkrebs“ beschäftigen.

Im Verborgenen lauerte die Angst

Die nächsten Tage bis zum Befund waren furchtbar. Zum Glück war ich beruflich viel im Einsatz und hatte somit reichlich Ablenkung. Aber ich hatte eine Riesenangst. Dann wieder der Gedanke: „Mir kann nichts passieren. Ich bin doch Gottes geliebte Tochter.“ Und schließlich war ich doch gerade wegen Gottes Werk nach Bonn gezogen. Das war bestimmt nur eine kleine Prüfung. Die würde ich bestehen – ich lasse mir keine Angst machen. Der Befund war negativ. Uff! Aber die Ärzte wollten das nicht so auf sich beruhen lassen. – Wie bitte? Fünf Gewebeproben waren negativ und das sollte nicht stimmen? – Zwischen meinen Dienstreisen ging ich also immer wieder zu weiteren Ärzten und Untersuchungen. Im Unterbewusstsein lauerte ständig die Angst.

Dezember 2007

Als ich dann im Dezember 2007 von der Schuhkarton-Verteilerreise aus der Slowakei zurückkehrte, bekam ich Schmerzen in der Brust. „Bestimmt ist etwas durch die Biopsie verletzt worden“, dachte ich mir. Am 2. Januar 2008 schickte mich meine Gynäkologin sofort in die Uni Frauenklinik. Ich musste warten. Ständig klingelte mein Handy. „Herzlichen Glückwunsch!“ „Ich habe heute Geburtstag.“ sagte ich entschuldigend zur Sprechstundenhilfe. Sie lächelte mich traurig an.: „Ach, deshalb blinkt ihr Geburtsdatum im PC rot. „Am nächsten Tag fragte mich Krankenschwester Karin in der Frauenklinik bei einer weiteren Gewebeprobe-Entnahme, ob sie meine Hand halten sollte. „Sie sind hier doch alleine.“ Na, wenigstens das hat sich rumgesprochen. Ich war ihr so dankbar.

Befund

Einen Tag später sitze ich zum Gespräch über den Befund. Zwei Ärzte und Schwester Karin blicken mich traurig an. „Es wäre besser gewesen, sie hätten jemanden mitgebracht.“ Mir wird schwindelig. Ich ahne, was nun kommt. „Es tut uns leid. Sie haben Brustkrebs.“ Die Welt um mich herum bricht zusammen. Das kann doch nicht sein. Ist das nun mein Ende? Ich höre mich sagen: „Auch wenn Sie glauben, dass ich jetzt nach einem Strohhalm greife, aber ich bin nicht alleine. Ich bin Christin. Und für Gott hat alles einen Sinn. Das hier ist nicht das Ende.“ Was die wohl gedacht haben?

Muss ich sterben?

Nun habe ich nichts mehr selbst in der Hand. Loslassen! Alles Gott überlassen. Vertrauen wagen! Es fällt mir so schwer. Dabei wünsche ich mir nichts mehr, als einmal im Leben voll und ganz zu vertrauen. Ganz ich zu sein, mit all meinen Schwächen – und trotzdem von ganzem Herzen geliebt zu werden. Nun habe ich die Chance dazu. Denn nun liegt alles in Gottes Hand. Wie geht es weiter? Haben sich bereits Metastasen gebildet? Muss ich vielleicht sogar bald sterben? Und wie sage ich es meinen Kindern? Ja, am schlimmsten ist es für mich der Gedanke, vielleicht bald nicht mehr bei meinen Kindern sein zu  können. Unglaublich! Danke Gott, für meine beiden wundervollen Kinder. Welch ein Geschenk ist es, Menschen von Gott anvertraut zu bekommen!

Die Jahresplanungssitzung

für „Weihnachten im Schuhkarton“ in Berlin steht an. Kann ich da noch hinfahren? Macht es überhaupt noch Sinn, für das ganze Jahr zu planen? Ich lebe wie unter einer Vakumglocke. „Ich freue mich darauf, dich nächste Woche zu sehen“, sagt eine Kollegin am Telefon. „Ich komme wohl nicht mehr“, antworte ich ihr resigniert. „Quatsch, du kommst!“ – Sie macht mir so viel Mut! Von allen Seiten bekomme ich so viel Trost zugesprochen. Bibelverse und Mut machende Worte. „Denen, die Gott lieben, dient alles zum Besten“ (Römer 8, 28) „Es geschieht nichts, was nicht vorher an Gottes Thron vorbeigegangen ist.“ Hat er wirklich „Ja“ gesagt zu meinem Brustkrebs? Lässt er all die Angst und das Leid bewusst zu? Er hat uns zugesagt, dass wir uns nicht sorgen sollen, dass er immer bei uns ist. Ist das wirklich wahr?

Letzter Tag vor der Operation

Am Sonntagmorgen (letzter Tag vor der OP) mag ich gar nicht aufstehen. Aber ich denke, dass ist der letzte Sonntagmorgen in meinem alten Leben, mal sehen, was Gott mir sagen möchte. Also gehe ich doch in den Gottesdienst. Wir singen ein neues Lied: „Ich bin bei dir“. Vor lauter Tränen kann ich überhaupt nicht mitsingen. „Danke, Gott.“ Nachmittags steht ein Ehepaar aus dem Sauerland mit einem Kuchen vor der Tür. Die beiden leiten eine Sammelstelle für „Weihnachten im Schuhkarton“. Sie haben mit ihrem Hauskreis ein paar Lieder für mich auf eine Kassette aufgenommen. Wunderschön! Die soll ich mir mit ins Krankenhaus nehmen. Das erste Lied finden sie sehr passend für mich: „‚Ich bin bei dir“.

Verlust meiner Haare

Die Operation verläuft gut. Medizinisch gesehen ist es kein großer Eingriff. Aber für eine Frau ist es unglaublich traurig, einen Busen zu verlieren. Zum Glück ist heute ein Brustwiederaufbau möglich. Erstaunlich: In den ersten zwei Monaten nach der Operation bekomme ich täglich Ermutigung. Noch nie habe ich so viele Briefe, Postkarten, Päckchen, Duft-Duschöle oder Körperlotion, Musik-CDs zum Entspannen und Kuscheltiere. Im Februar 2008 beginnt die Chemotherapie. Alle drei Wochen, sechs Mal. Ich habe Angst. Besonders auch davor, die Haare zu verlieren… Dann sind sie weg. Von heute auf morgen. Ich fahre mit den Fingern durch das Haar und halte büschelweise in den Händen. Die Friseurin rasiert mir alles ab. Nur ganz kurze Stoppeln bleiben stehen. Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Irgendwie finde ich sogar meine Glatze schön. Viel schlimmer ist für mich im weiteren Verlauf der Chemotherapie der Verlust der Augenbrauen und Wimpern.

Ein dunkelblaues Kopftuch aus Seide

Und immer wieder die Zweifel: Passiert mir wirklich nichts, was nicht vorher an Gottes Thron vorbeigegangen ist? Meine Augen sind geschwollen und tränen. Ich sehe morgens in den Spiegel und erkenne mich selbst nicht mehr. Die Rolläden lasse ich nach den ersten Tagen der Chemo unten. Nach ein paar Tagen komme ich wieder hervorgekrochen. Wenn es mir besser geht, fahre ich auf unsere Dankestreffen von „Weihnachten im Schuhkarton“. Das tut so gut! Ich trage ein Kopftuch. Dunkelblau, aus Seide, sieht schick aus. Die Perücke kann ich einfach nicht leiden. Damit fühle ich mich so fremd. Außerdem juckt sie furchtbar.

Ein mulmiges Gefühl

Anfangs ist mir mulmig zumute, weil ich nicht weiß, wie die Menschen reagieren, aber die Sorge war vollkommen überflüssig. Die Hemmschwelle ist schnell überschritten. Ich kann ganz unbeschwert mit der Situation umgehen. Und es erstaunt mich, wie positiv mir Menschen begegnen. Sehr viele sind selbst vom Krebs betroffen oder haben in ihrer Familie oder ihrem Bekannten- und Freundeskreis jemanden, der an Krebs erkrankt ist. Es tut gut, offen miteinander zu reden und Sorgen und Ängste zu teilen. „Einer trage des andern Last“ (Galater 6,2). Vieles bekommt für mich einen ganz anderen Wert. Ich muss nicht mehr jedem und allem entsprechen. Durch den Krebs wurde ich ausgebremst und konnte mein Leben nicht mehr so weiterführen wie bisher. Ich musste loslassen und Gott ganz vertrauen. Welch ein Geschenk.

Aufheiterung

Und Gott versteht es immer, mich wieder aufzuheitern. Nach der vierten Chemo-Behandlung geht es mir schrecklich. Ich bin sehr nörgelig und sehe fürchterlich aus. Von Dankbarkeit heute keine Spur. Ich fühle mich mal wieder von Gott verlassen. Noch einmal mache ich das alles nicht mit! Da kommt Schweser Karin auf Station .“Gut, dass Sie heute heute hier sind, Frau Reinhardt.“ „Nein, überhaupt nicht gut“, antworte ich ihr frustriert. Schwester Karin schlägt mir eine interessante Veranstaltung vor: Der Verein DKMS Life, der der Schminkkurse für Krebspatienten durchführt, lädt  in eine Kölner Parfümerie ein. Mit Fernsehen und Presse. Als Höhepunkt kommt die Werbeträgerin Heidi Klum. In der Frauenklinik ist man der Meinung, ich sei genau die Richtige, um dort hinzugehen. Egal wie mies ich mich fühle, so etwas lasse ich mir nicht entgehen. Ich liebe Gottes Humor! Gott weiß genau, welche Sprache ich verstehe. „Meine liebe Evelyne, auch wenn du dich schrecklich fühlst, und wenn du glaubst, dass du furchtbar aussiehst; und wenn du auch nicht dem Bild von Schönheit dieser Welt entsprichst. Ich finde dich schön, dass ich dich in dieser Situation sogar neben ein Modell stelle.“ Die Aktion macht mir riesigen Spaß. Interessiert beobachte ich die anderen Frauen: Was bleibt von einem Menschen, wenn er all seine Schönheit verliert? Wir legen heutzutage so viel Wert auf Äußeres und haben Angst davor, unsere hübsche äußere Hülle zu verlieren…

Und nun? Nun sitze ich hier auf dem Balkon und kann gar nicht glauben, wie gut es mir geht. Ich gehe Schwimmen und Walken und bin wieder fit. Sogar meine Haare habe ich wieder. Wenn ich in den Spiegel schaue, weiß ich wer ich bin: „Ich bin Gottes geliebte Tochter“

10 Jahre danach

Ich bin soooooo dankbar für die letzten 10 Jahre! Nicht immer vor allem bewahrt, aber in den Alltagssorgen „Durchgetragen“. Oft habe ich mich gefragt, was das Wichtigste ist.

Jesus Antwort darauf (und ich liebe diese Antwort!):

„Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.  Markus 30 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. 

31 Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. „

32   Markus 12, 29 -31

Also: GOTT lieben und versuchen, ein Alltagschrist zu sein.

Wenn du mit mir ins Gespräch kommen willst, dann schreibe mir eine E-Mail. Es gibt so viele schöne Kaffee’s in Berlin, wo wir uns dann treffen könnten.